Was ist die Höchststrafe für Familien in diesen Wochen? Ein Internetausfall. Oder ein kaputtes Endgerät. Denn ohne Verbindung zu den Lernplattformen ist zurzeit keine Schule möglich. Die Nerven der Familien mit Schulkindern sind wie im Frühjahr bis zum Platzen gespannt: Die eigene Arbeit zu schaffen mit einem I-Dötzchen und einem demotivierten Pubertier am Esstisch ist bei weitem nicht so idyllisch, wie Schulministerinnen sich das “Lernen auf Distanz” gern schönreden. Und das Schlimme ist: Wir hätten es besser gekonnt.
Die Ferien vorne und hinten verlängert, und der weiße Elefant stand schon im Dezember im Raum: Der Lockdown wird sich nur langsam auflösen, allen Beteuerungen des Bundesgesundheitsministers im September zum Trotz. Aber wenn alle es schon vorher wissen: Wäre dann nicht Zeit gewesen für einen Ausbau der Serverkapazitäten? Der erste Tag des Distanzlernens nach den Ferien führte für die allermeisten Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen ins Off. Serverüberlastung, kein Zugriff mehr auf Lernpläne, Lehrvideos, Download-Vorlagen und Videokonferenzen. Bis heute bleibt bei einigen Online-Stunden das Bild aus – sonst geht das System in die Knie. Soviel zum Beitrag des NRW-Schulministeriums, geleitet von der FDP-Politikerin Gebauer. FDP? Waren das nicht die mit “Digitalisierung first…”? Genau die. Dasselbe Ministerium war über ein halbes Jahr hinweg nicht in der Lage, den Schulen verlässliche Handreichungen zu geben, welche Plattformen überhaupt datenschutzkonform verwendet werden können. Der Schwarze Peter lag am Ende wieder dort, wo er so oft liegen gelassen wird: bei den Schulleitungen und Lehrer/innen.
Soviel Homeoffice wie möglich und alle Kinder zuhause – es ist völlig klar, dass das in vielen Familien die Kapazitäten sprengt. Für jeden ein ruhiger Arbeitsplatz, für jeden ein Endgerät, und genug Druckerkapazitäten, wenn über das von der Schule bereitgestellte Arbeitsblatt dann doch der Kakao gekippt ist. In welcher Welt leben diejenigen, die “Distanzlernen” als vollwertige Alternative zur Schule verklären? Jedenfalls nicht mit zwei Schülern und einem gelangweilten Kindergartenkind auf 70 Quadratmetern. In den meisten Familien sind Tablets oder Laptops ein knappes Gut.
Es wäre hilfreich gewesen, auf Seiten der Stadt ausreichend Tablets zum Verleihen bereit zu haben. Die Mittel aus dem “Gute-Schule”-Budget wären auch in Brühl schon im Juni da gewesen. Damals wollte die Mehrheit im Rat lieber noch abwarten, auch wenn Verzögerungen absehbar waren und von uns benannt wurden. Schon damals gab es ja Lieferengpässe bei Tablets und anderer IT-Ausstattung. Und öffentliche Vergabe geht nicht innerhalb von Tagen über die Bühne. Erst in der zweiten Augusthälfte konnte es weitergehen, nun aus Mitteln des Sofortausstattungsprogramms des Bundes. Aber die Lieferung dauert. Das Ergebnis: Es fehlen bis jetzt Geräte gerade für Schülerinnen und Schüler, die von zuhause aus ohnehin kaum Unterstützung erwarten können. Die Bildungschancen in Deutschland waren schon lange extrem ungleich verteilt – in den letzten zwölf Monaten sieht die Bilanz noch einmal schlimmer aus.
Den Familien (und den Lehrern) geht die Puste aus – und jeder kämpft für sich allein. Unter anderen Bedingungen läge die Lösung nahe: Tut Euch zusammen. Lasst die Kinder gemeinsam lernen, teilt Euch die Last! Aber wie geht das mit der Solidarität in Zeiten rigoroser Kontaktbeschränkungen?
Corona ist zur Zeit noch das beherrschende Thema. Aber es wird vorbeigehen. Sorgen wir dafür, dass unsere Kinder dann – emotional wie intellektuell – fit sind für den weiteren Weg.